Rückwärts essen

Vollautomatische Fütterung

Bei mir nimmt das Essen öfter mal den Rückwärtsgang. Früher kam das bei so ziemlich jeder Mahlzeit vor, meistens sogar mehrmals. Da konnten Mama und Papa die Nahrung noch so langsam in meinen Magen laufen lassen.

Als ich noch die Fertignahrung hatte, haben sie dazu nämlich eine Pumpe benutzt, durch die das Essen ganz automatisch durch einen langen Schlauch in meinen Bauch lief.

Das Praktische war, dass ich damit auch beim Spazierengehen im Kinderwagen „essen“ konnte, und Mama und Papa mussten gar nichts machen.

Na ja, außer, wenn die Pumpe mal wieder Alarm geschlagen hat, weil der Schlauch abgeknickt oder Luft drin war. Manchmal auch einfach so…

Ganztagsessen

Früher dauerten die Mahlzeiten bis zu zwei Stunden. Und ihr könnt euch vielleicht vorstellen: wenn man vier Mahlzeiten am Tag bekommt, ist man fast den ganzen Tag nur am Essen!

Und dann muss man nach dem Essen mindestens noch eine Stunde höllisch aufpassen, dass ich mich nicht zu viel oder falsch bewege, man mich nicht hinsetzt oder mir auf den Bauch drückt, denn sonst kommt ein Großteil der Mahlzeit wieder raus. Manchmal passiert das allerdings auch, wenn ich einfach nur ganz ruhig liegenbleibe.

Meine Eltern haben immer alle möglich Tipps von allen möglichen Leuten bekommen: den Kopf hochlagern (hat nichts gebracht, außerdem habe ich mich dann mit Vorliebe seitlich runterrollen lassen), die Nahrung andicken (hat auch nichts gebracht) oder NOCH langsamer geben, also die Pumpe mehr oder weniger über den ganzen Tag laufen lassen – völlig bescheuerte Idee!

Das Schleimproblem

Wenn dann gefühlt meine ganze Mahlzeit zu Mund und Nase wieder herausgekommen ist – und meine Eltern, manchmal mehrmals, mich und sich gewaschen und neu eingekleidet, Boden, Couch, Spielmatte und –decke, diverses Spielzeug etc. saubergewischt haben -, ist das Schleimproblem durch die Spuckerei meistens noch schlimmer geworden. Die Formel lautet: mehr Schleim = mehr Spucken, mehr Spucken = mehr Schleim usw.

Fundo...dings

Als meine Eltern wegen der ständigen Spuckerei richtig verzweifelt waren, ist Mama mit mir in eine Klinik gefahren. Dort gab es eine „Reflux-Sprechstunde“. Reflux heißt das, wenn das Essen immer wieder oben rauskommt.  Erst mal wurde ich gründlich untersucht, dazu mussten wir mehrmals in diese Klinik fahren, die etwas weiter weg war. Und weil das noch die Zeit war, in der ich Autofahren überhaupt nicht ausstehen konnte, ist immer der Opa gefahren. Dann konnte Mama neben mir sitzen und versuchen, mich zu beruhigen…

Schließlich wurde beschlossen, dass ich eine Magenmanschette bekomme. Man nennt das Fundoplikatio. Dabei wird der Eingang, wo die Speiseröhre in den Magen führt, quasi enger genäht. Dazu musste man meinen Bauch aber zum Glück nicht auf-schneiden, sondern es wurden nur drei kleine Löchelchen reingemacht, die man jetzt kaum mehr sieht. 

Da war ich eineinhalb. Danach ging es mir zwar besser, aber ich musste immer noch ziemlich oft bei der Mahlzeit würgen, manchmal mehrmals hintereinander, eine oder mehrere Minuten lang, und es kommt immer wieder vor, dass ich brechen muss. Als wir vor einem halben Jahr nochmal da waren, meinte der Chirurg, wir müssten Geduld haben…

Tatsächlich wird es immer besser...

Seit ich „richtiges Essen“ sondiert bekomme, inzwischen seit eineinhalb Jahren, bleibt es noch besser im Magen. Die Nahrung ist auch nicht mehr flüssig, sondern eher wie Brei. Jetzt bekomme ich das Essen nicht mehr durch die Pumpe, sondern mit einer großen Spritze quasi von Hand „sondiert“ (so nennt man das Füttern über eine Sonde, also den Schlauch im Bauch). Und wir sind viel schneller mit einer Mahlzeit fertig, so ungefähr in einer Dreiviertelstunde.

...aber noch nicht richtig gut

Oft kommt mir das Essen nicht nur zum Mund, sondern gleichzeitig zu Mund und Nase raus, das heißt, ich bekomme erst mal überhaupt keine Luft mehr. Da würde vermutlich jeder Panik bekommen, aber ich ganz besonders, weil ich das Gefühl, keine Luft zu bekommen, schon von meiner Geburt kenne. Und wenn man immer verschleimt ist und noch dazu eine zu weiche Luftröhre hat, dann ist das Atmen sowieso schwer.

Und dann gibt es noch ein anderes Problem, das meinen Eltern Sorgen macht. Nämlich, dass ich nicht zunehme. Als ich schon über ein Jahr alt war, habe ich noch nicht mal doppelt so viel gewogen wie bei meiner Geburt. Und jetzt hänge ich schon seit fast einem Jahr bei knapp unter zehn Kilo… Nur gewachsen bin ich und immer länger und dünner geworden. Mein Papa sagt immer, ich will mal Topmodel werden.

Zappelliesje

Dabei bekomme ich echt viel Essen, vier mal am Tag gut 300 ml,  immer mit irgendwas Fettem und Kalorienreichen drin, und mittlerweile bleibt ja auch das allermeiste davon in meinem Magen. Aber weil ich so ein „Zappelliesje“ bin und dauernd am Rumturnen, verbrauche ich die ganze schöne Energie immer gleich wieder.

Hoffnungsschimmer

In den letzten sieben Wochen habe ich übrigens nur ganz ganz selten gebrochen. Zwei Wochen am Stück sogar kein bisschen. Ich bin aber auch im Moment fast gar nicht verschleimt. Wenn es draußen warm ist, wird es meistens besser. Außerdem konnte ich die ganze Zeit ja auch gar kein bisschen krank werden, weil alle sich und mich so gut vor diesem Virus geschützt haben, dass ich auch sonst überhaupt nichts abbekommen konnte.

Jetzt hoffen meine Eltern, dass mein Magen vielleicht inzwischen gewachsen ist und sich das Problem irgendwann von selbst erledigt. Oder der Chirurg vielleicht doch Recht hat… Aber leider dachten meine Eltern und ich schon sehr oft, dass das mit dem Spucken endlich ein Ende hat, aber immer haben wir uns zu früh gefreut…

Bitte drückt mir die Daumen, dass es mindestens so bleibt wie jetzt! Ich hab nämlich überhaupt keine Lust, noch mal deswegen operiert zu werden…

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2 Gedanken zu “Rückwärts essen”

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