Mit den Augen sprechen

Der Traum vom Zaubern

Ich hab euch ja mal versprochen, dass ich irgendwann lerne, mit den Augen zu sprechen. Dass ich mit den Augen zaubern, Sachen bewegen und Musik machen kann. Ok, das mit dem Zaubern war vielleicht ein bisschen übertrieben, aber nicht ganz falsch.

Eine Zeitlang sah es so aus, als würde ich mein Versprechen nicht einlösen können, weil die Krankenkasse es nicht bezahlen wollte.  Aber nach langem Kampf ist mein Traum – und der meiner Eltern – endlich wahr geworden: ich habe meinen eigenen Sprachcomputer bekommen!

Und ich habe sogar schon meine ersten Worte damit „gesagt“!

Verständigungsprobleme

Ich verstehe zwar schon viel und immer mehr, aber leider schaffe ich es nach wie vor nicht, mit meinem Mund Worte zu formen.

Ich kann zwar auch ohne Worte ganz gut mitteilen, was ich will und was nicht und ob es mir gut geht oder nicht. Aber über etwas zu reden, was ich nicht vor Augen habe, oder was genau in mir vorgeht, ist so leider schwierig, und Mama und Papa oder andere Leute, mit denen ich zu tun habe, sind manchmal etwas ratlos, wenn sie mich nicht verstehen. Und das ist für alle ziemlich frustrierend.

Aber zum Glück habe ich ja jetzt meinen Computer. Man nennt ihn auch „Talker“, weil er für einen spricht, wenn man das aus irgendeinem Grund nicht selbst kann.

Wie spricht man mit den Augen?

Kinder – oder auch Erwachsene – , die ihre Hände benutzen und gut steuern können, tippen auf dem Bildschirm auf ein Feld mit einem Wort und dem Bild dazu, und der Computer sagt es laut. Die Stimme kann man passend zu der Person einstellen, die ihn benutzt: Mann, Frau, kleines Mädchen.

Wenn man aber, wie ich, die Hände nicht so gut steuern kann, um gezielt etwas anzutippen, gibt es auch die Möglichkeit, das Feld mit den Augen zu öffnen, genauer gesagt, mit einem intensiven Blick. Der Computer erkennt mit Infrarotstrahlen die Pupillen und weiß dann, wo man hinschaut.

Das ist aber gar nicht so einfach. Man muss wirklich einen langen Moment ganz fest auf einen Punkt schauen, denn sonst würde sich ja andauernd irgendwas öffnen, was man gar nicht wollte, bloß weil man kurz hingeschaut hat. Außerdem muss man auch ganz genau auf das Feld schauen, sonst öffnet man das Feld darüber oder darunter. Im Moment klappt es mit neun Feldern pro Seite schon ganz gut. Das ist schon einiges, später werden es aber noch viel mehr.

Wie sind die Seiten aufgebaut?

Es gibt fertige Seiten, oder vielmehr Seitensets, denn von einer Seite aus kann man meistens noch weitere Seiten öffnen. Auf der ersten Seite gibt es zum Beispiel ein Feld für Kleidung, eins für Essen und Trinken und eins für Personen und noch viele andere Kategorien. Wenn man etwa das mit der Kleidung öffnet, kommen weitere Felder mit Wörtern, die damit zu tun haben: Hose, Jacke, Socken, anziehen, ausziehen und so weiter.

Für mich sind diese fertigen Seiten mit so vielen Feldern aber noch viel zu kompliziert. Ich fange ja gerade erst an. Ich musste erst mal verstehen, dass man mit dem Ding nicht nur spielen, Töne machen oder Bilder bewegen, sondern vor allem anderen etwas mitteilen kann.  

Außerdem habe ich zum Beispiel mit Essen und Trinken nicht so viel am Hut, denn das kommt ja, wie ihr wisst, durch den Schlauch. Deshalb muss Mama sich selber Seiten ausdenken und programmieren. Das Programmieren ist zum Glück nicht so schwer, das schafft sogar sie. Aber sich zu überlegen, mit was für Wörtern und Feldern man anfängt und wie man das alles aufbaut, ist schon etwas schwieriger.

Hier ist eine Seite, die Mama für mich gestaltet hat und mit der sie voll meinen Nerv getroffen hat. Die Idee dazu hat sie aus dem Internet. Da gibt es zum Glück Leute, die sich auskennen und einem zeigen, wie man anfangen kann.

„Aus“ „Kleidung“!

Bei Mamas Seite dreht sich alles um die Wörter „an“ und „aus“. Die Bilder mit der hellen und der dunklen Lampe, die ihr hier seht, sind übrigens Symbole einer offiziellen Bildsprache für „unterstützte Kommunikation“, die Metacom heißt. Unterstützte Kommunikation oder kurz „UK“ nennt man verschiedene Hilfsmittel, wie zum Beispiel so einen Talker, mit denen man kommunizieren, also sich unterhalten kann, wenn man nicht oder nicht so gut sprechen kann.

Erst mal hat Mama mir gezeigt, was man mit der Seite alles sagen kann. Es ist wichtig, dass auch die anderen Personen, die mit mir zu tun haben, mit dem Computer „sprechen“, damit ich sehe und höre, wie das funktioniert, und es nachmachen kann. Das nennt man Modelling. Dabei  dürfen die anderen die Felder natürlich auch mit den Fingern antippen statt mit den Augen zu schauen.

Zum Beispiel tippt Mama auf das Feld „Licht“ und das Feld „an“. Dann knipst sie das Licht an und bei „Licht“ und „aus“ wieder aus.

Auch den Wasserhahn kann man an- und ausmachen.

Den Fön, das Radio und meine Tiere, die singen und sich bewegen können, kann ich sogar selbst mit einer speziellen, sehr großen Taste an- und ausmachen.

Hier seht ihr so eine Taste (auch „UK“) und mein Einhorn, das auf Tastendruck Wiehern, Musik machen und laufen kann.

Dann gibt es noch das Feld „Kleidung“. Bei „aus“ zieht Mama mein Plüsch-Einhorn von den Helfeelfen aus. Das finde ich total witzig, denn es hat genauso einen Sondenbody mit Knöpfen an wie ich.

Man könnte fast meinen, ich stehe auf Einhörner…

Ok, vielleicht 😉

Und weil ich es so gerne sehe, wie das Einhorn an- und ausgezogen wird, oder wie Mama das Licht an- und ausknipst, wenn ich es ihr sage, benutze ich jetzt auch den Computer und sage zum Beispiel „Licht“ und „an“. Ich benutze also schon zwei Felder beziehungsweise Wörter hintereinander.

Als Mama das Einhorn gerade wieder angezogen hatte, wollte ich natürlich unbedingt, dass sie es gleich wieder auszieht. Mama wusste das ganz genau, aber sie wollte, dass ich es mit dem Computer sage. Da habe ich schnell auf „aus“ geschaut. Und damit sie auch wirklich versteht, was ich meine, noch ein „Kleidung“ hinterhergeschickt.

Meinen Computer nehme ich auch mit in den Kindergarten. Die anderen Kinder sind ganz begeistert davon. Im Moment bin ich dann immer so abgelenkt durch die Kinder, dass ich ganz vergesse, ihn zu benutzen. Aber er soll ja mein ständiger Begleiter werden, und mit der Zeit werde ich lernen, immer mehr davon Gebrauch zu machen.

Und irgendwann können alle mich verstehen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

4 Gedanken zu “Mit den Augen sprechen”

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen