Ich habe lange überlegt, ob und wie ich gewisse private Veränderungen, die sich bei mir schon länger abzeichneten, teilen soll, denn einerseits sind sie eben privat und niemand spricht gern über solche Überlegungen, solange sie noch unausgegoren sind.
Andererseits wollte ich mit einem Tabu brechen, das gerade unter pflegenden Familien verbreitet zu sein scheint, und ich möchte keinen falschen Eindruck vermitteln, nämlich, dass bei „Anders glücklich“ immer alles eitel Sonnenschein sei.
Happy Family oder Pflegegemeinschaft?
Es ist nicht gelogen, dass wir – Lenchen, Mama und Papa – eine weitgehend glückliche Familie sind – aber eben auch nicht mehr. Wenn man das unter pflegenden Eltern andeutet, ist man oft überrascht, wie vielen es ähnlich geht, wo die Beziehung längst auf der Strecke geblieben ist, auch wenn nach außen alles in Ordnung zu sein scheint.
Die Scheidungsrate bei Familien mit einem behinderten Kind liegt bekanntlich überdurchschnittlich hoch. Aber hat schon mal jemand gefragt, wie hoch die Rate derer ist, die sich dem Kind zuliebe arrangieren, die eigenen Bedürfnisse zurückstellen? Man funktioniert eben, ist ein eingespieltes Team und kann es sich oft nicht anders vorstellen.
Aber ist der Grund für die vielen Trennungen wirklich die Behinderung des Kindes? Vielleicht indirekt, weil vorhandene Diskrepanzen und unterschiedliche Meinungen vielfach verstärkt werden durch die belastende Situation und dadurch, dass so viele Entscheidungen für das Kind getroffen werden müssen, für die es nicht unbedingt allgemeingültige Wegweiser gibt. Und weil diese große Verantwortung selten mit der Volljährigkeit des Kindes endet.
Man fühlt sich aneinandergekettet, und zum ohnehin aufreibenden Alltag einer 24-Stunden-Pflege kommen dann auch noch die ständigen Reibereien mit dem anderen Elternteil dazu. Aber wird man die nicht immer haben, auch wenn man getrennt lebt? Schließlich bleibt man als Eltern gemeinsam für das Kind verantwortlich. Und wird dann nicht alles noch komplizierter? Und teurer? Und wer will schon gern alleinerziehend sein, und dann auch noch mit einem Kind, für das man kaum eine Betreuung bekommt.
Plötzlich war da ein Weg
Das waren auch meine Überlegungen – jahrelang. Ich wartete, hielt aus und verschob auf später irgendwann, vielleicht. Unter anderem auf einen Zeitpunkt nach dem Schulbeginn. Dann werde ich mehr Entlastung haben, etwas zur Ruhe kommen, wieder mehr arbeiten können … Aber natürlich ist die Einschulung ein einschneidendes Ereignis im Leben meiner Tochter. Mit einem Schlag ändert sich für sie der komplette Tagesablauf, der Ort, die Bezugspersonen, die Zeitspanne, die sie außer Haus verbringt. Wie viele weitere Veränderungen und in welchem zeitlichen Abstand kann ich ihr darüber hinaus zumuten?
Nun, wie man weiß, findet das Leben statt, während man dabei ist, Pläne zu schmieden, und es sagt einem dann einfach, wann der Zeitpunkt gekommen ist, auch wenn dieser niemals perfekt ist. Bei mir kam dieser Zeitpunkt, als ein wunderbarer Mensch in mein Leben trat und sich plötzlich eins ins andere fügte. Der Weg lag vor uns, als warte er nur darauf, mutig beschritten zu werden. Er führt in ein neues Zuhause und ein neues Leben voller Liebe.
Kinder verstehen mehr als wir denken
Natürlich war die Grundvoraussetzung, dass es auch für meine Tochter passt. Und wenn ich ihre Reaktionen richtig deute, sieht sie die Veränderungen eher als Bereicherung an, als als Verlust. Und sie scheint zu verstehen. Unsere Kinder spüren auch, wenn dicke Luft herrscht und zwischen Mama und Papa etwas fehlt, das eigentlich normal sein sollte. Und mit dem richtigen Fingerspitzengefühl können wir ihnen vielleicht mehr zumuten, als wir oft so denken.
Glücklicherweise läuft bei uns alles sehr friedlich ab. Es scheint mittlerweile für alle die beste Lösung zu sein, und es bedeutet nicht, dass wir nicht auch immer noch eine Familie sind. Manchmal kann ein räumlicher Abstand sehr heilsam sein.
Und auch für Anders glücklich wird diese neue Verbindung eine Bereicherung sein, denn auch im kreativen und künstlerischen Bereich wollen wir gemeinsame Wege einschlagen und haben schon Ideen für tolle Projekte …
Du darfst also gespannt sein, wie es hier weitergeht!
4 Gedanken zu “Ein neues Leben”
Ich wünsche euch von Herzen alles Gute auf eurem Weg. Danke für deinen Mut!
Danke dir
Sehr emotional und sehr schön geschrieben Hut Up…
Wir wünschen euch alles erdenklich gute
Lieben Dank 🙂