Wie ich auf die Welt kam

Viele denken, ich wäre zu früh auf die Welt gekommen, weil bei „Frühchen“, die aus dem Mamabauch kommen, bevor sie richtig fertig sind, auch leicht was schiefgehen kann. Aber ich habe mich genauestens an den Termin gehalten, den meine Mama ausgerechnet hatte.

Überhaupt habe ich alles ganz richtig gemacht und mich beizeiten mit dem Kopf nach unten gedreht und bin schon so weit es ging runtergerutscht. Die Hebamme im Geburtshaus hat immer gesagt, dass wir eine Bilderbuch-Schwangerschaft hätten, meine Mama und ich. Und sogar meine Geburt war erst mal ziemlich bilderbuchmäßig. Okay, zum Teil auch ein bisschen filmreif.

Weil ich es kaum abwarten konnte, habe ich morgens schon ganz ganz früh meine Fruchtblase angepiekst, damit Mama wach wird und weiß, dass es von mir aus losgehen kann. Sie hat dann auch bald Wehen gekriegt. Das hat ganz schön gekitzelt.

Mama hat die Hebamme angerufen, und die meinte, wir sollen noch ein bisschen in die Badewanne gehen und uns entspannen. Das haben wir gemacht. Und es war sooo schön. Die Mama hat mir was vorgesungen und immer nur auf ihr Handy gedrückt, wenn wir wieder eine Wehe hatten, um zu messen, wie lang die Abstände sind.

Dem Papa hatten wir schon mal Bescheid gesagt, der hat sich aber noch mal im Bett rumgedreht. Nach einer Stunde sind wir aus der Wanne raus. Da war ich plötzlich ganz schön ungeduldig. Ich wollte endlich raus! Deswegen hab ich angefangen, richtig nach unten zu drücken. Dummerweise waren wir aber ja noch zu Hause.

Und dann kam der filmreife Teil: Wir hatten nämlich noch eine Autofahrt von über einer halben Stunde vor uns. Der Sonnenaufgang war an dem Tag übrigens besonders schön, und es gab sogar einen Regenbogen, meinte mein Papa, aber meine Mama hat das herzlich wenig interessiert. Sie hat nur im Auto gesessen und laut gestöhnt.

Als wir endlich da waren, hatte die Mama auch gerade eine Wehe und musste noch kurz im Auto sitzenbleiben. Als es wieder ging, ist sie nur so in den Geburtsraum gestürmt, wo sie direkt die nächste Wehe hatte.

Der Ausgang, durch den ich passen sollte, hatte sich schon ein bisschen geöffnet, aber vier Zentimeter haben noch nicht für mich gereicht, also musste Mama die Wehen noch ein bisschen wegatmen.

Wir durften uns direkt wieder in die Badewanne legen und haben uns beide wieder ein bisschen entspannt. Da hatte ich es dann plötzlich gar nicht mehr so eilig rauszukommen. Warum, weiß ich auch nicht mehr genau. Vielleicht konnte ich auch nicht mehr, wegen dieser Sache mit dem Sauerstoff. Irgendwie habe ich mir jedenfalls Zeit gelassen, obwohl der Muttermund jetzt schon neun Zentimeter weit auf war, und alle unbedingt wollten, dass ich jetzt rauskomme.

Irgendwie habe ich es dann geschafft, den Kopf schon mal ein ganz kleines Stückchen rauszustecken. Dann konnte Mama mir drüberstreicheln und meine vielen, weichen, schwarzen Haare fühlen.

Aber bis ich dann endlich ganz rausgeflutscht bin, hat es noch über eine halbe Stunde gedauert. Neuneinhalb Stunden nach dem frühmorgendlichen Pieks in die Fruchtblase, alles in allem also nicht so lang für Mamas erste Geburt. Bis dahin kann man also sagen, war alles so weit undramatisch, geradezu eine Traumgeburt.

Aber das sollte sich jetzt schlagartig ändern. Meine Farbe war nämlich nicht so wie bei anderen Babys. Meine Mama meint, ich war grau, Papa sagte blau, aber was das Schlimmste war: Ich habe nicht angefangen zu atmen und auch sonst wirkte ich nicht gerade lebendig.

Bevor meine Eltern kapiert haben, was überhaupt los ist, hatten die Hebammen meine Nabelschnur schon durchgeschnitten und mich zur Ablage gebracht um mich mit einem Gerät zu beatmen. Leider bekamen sie keine Luft in meine Lunge. Erst als die Hebamme selbst reingepustet hat, hat sich meine Lunge mit Luft gefüllt wie ein zusammengeknitterter Luftballon.

Zu dem Zeitpunkt saß meine Mama aber noch völlig perplex in der Badewanne und auch Papa wusste nicht, wie ihm geschieht. Nach kürzester Zeit standen schon zwei Rettungssanitäter im Raum und gleich darauf ein Notarzt. Zum Glück waren viele Hebammen da, nur für uns: zwei fertige und sogar noch eine Schülerin. Und eine hatte anscheinend ganz schnell den Notruf gewählt. Eine konnte dann meiner Mama aus der Badewanne und auf die Liege helfen und sie weiter versorgen.

Nach und nach kamen immer mehr Leute, die sich um mich kümmerten, auch ein Team von einer Kinderklinik. Irgendwann waren es ungefähr zehn Personen, und ich habe Mama und Papa überhaupt nicht mehr gesehen und sie mich auch nicht. Irgendwann hat Mama gefragt, ob ich nun eigentlich wirklich ein Mädchen bin…

Fast zwei Stunden nach meiner Geburt durfte meine Mama mich endlich mal ganz kurz im Arm halten, dick eingepackt in ein Handtuch und eine Decke. Da habe ich inzwischen selbst geatmet und es ging mir alles in allem ganz gut. Ich war sogar richtig rosig.

Gleich darauf wurde ich in den Krankenwagen verfrachtet und in diese Kinderklinik gefahren, die ziemlich weit weg war. Ganz allein, denn meine Eltern konnten leider nicht mitfahren. Mama musste noch von der Hebamme genäht werden, und meine Eltern haben im Geburtshaus noch was gegessen, denn es war ja inzwischen Mittag durch.

Mama und Papa waren ganz schön erleichtert, weil sie dachten, es sei alles noch mal gutgegangen. Dass das nicht so war, haben sie erst später erfahren.

Das nächste Mal durften meine Eltern mich erst drei Tage später wieder in den Arm nehmen.

Als sie fertig waren, sind sie mit dem Auto hinterher gefahren. Und nachdem sie in der Klinik den ganzen Papierkram erledigt hatten und eine Frauenärztin dort noch mal nachsehen wollte, ob Mama gut genäht worden war – war sie natürlich – durften sie endlich zu mir in den Hochsicherheitstrakt, die Kinderintensivstation. Sie waren fast ein bisschen ausgelassen. Das Schlimmste war ja vorbei – dachten sie. Als sie mich dann gesehen haben, war die Euphorie allerdings schnell wieder verflogen.

Am Anfang wussten die Ärzte anscheinend selbst nicht so recht, was mit mir los ist. Später hat eine andere Ärztin gesagt, dass es nicht nur daran gelegen haben kann, dass ich NACH der Geburt nicht gleich geatmet habe, sondern dass schon früher in Mamas Bauch irgendwas passiert sei. Aber was genau, und wann, können offenbar auch die schlausten Ärzte jetzt nicht mehr herausfinden. Aber dass ich anders war als die anderen, das haben sie wohl gleich gemerkt

Dabei war ich am Tag meiner Geburt einfach nur schon wieder fertig mit der Welt und wollte wieder zurück in Mamas Bauch oder einfach nur weg. Erst war alles so schön und entspannt gewesen, bei Musik und Kerzenschein, und dann plötzlich Panik, weil ich keine Luft bekam, das grelle Licht, die vielen Leute, die so laut und hektisch waren. Das hatte ich mir alles ganz anders vorgestellt, und ich glaube, meine Eltern auch. Und das alles hat mich so gestresst, dass ich Stunden später immer noch gezittert habe in dem komischen Glaskasten, in den sie mich gesteckt hatten, mit den vielen Schläuchen und Kabeln an mir.

In dieser doofen Klinik musste ich dann noch acht Wochen bleiben. Aber davon erzähle ich euch ein andermal.

In der Zeit nach der Geburt konnte meine Mama nicht verstehen, wie Leute ihr DAZU gratulieren konnten!

Heute kann sie nicht verstehen, wieso andere uns bemitleiden.

 

 

Die Geschichte einer Geburt aufzuschreiben, ist nicht so einfach, gerade wenn nicht alles so gelaufen ist, wie man sich das erträumt hatte. Es gibt wohl kaum etwas, das emotionaler und subjektiver geprägt ist. Dabei kann es helfen, wenn jemand eine andere Sicht auf die Dinge eröffnet, Lücken füllt und bei der richtigen Formulierung hilft. Vielleicht sogar den Text anhand deiner Informationen für dich schreibt.

Wenn auch du deine Geburtsgeschichte aufschreiben oder die anderer lesen magst, besuch doch mal Katharina auf https://ichgebaere.com/

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6 Gedanken zu “Wie ich auf die Welt kam”

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